Behinderte Menschen sind geschlechtslose Wesen

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Von Tanja W., 7. Juni 2024
Tanja in blauer Jacke im Rollstuhl

Behinderte Menschen sind geschlechtslose Wesen. Zumindest in der Vorstellung der Nichtbehinderten. Man sieht das zum Beispiel an den Toiletten in öffentlichen Gebäuden: Männer – Frauen – Behinderte. Und weil die Rolli-Toiletten so schön geräumig sind, werden sie häufig nebenbei noch als Abstellkammer verwendet. Und wenn man ein wenig ins Gespräch kommt, fragen manche Leute doch tatsächlich: „Hast du Sex?“ oder noch konkreter: „Wie geht das denn?“. Wurden Sie schon einmal so etwas von entfernten Bekannten gefragt? Zwei ebenfalls behinderte Freundinnen von mir haben je zwei Kinder. In der Regel werden sie angestarrt und immer wieder gefragt, zu wem die Kinder gehören – zu ihnen ja nicht. Das scheint den Nichtbehinderten klar zu sein. Es geht uns nicht darum, keine Auskunft geben zu wollen. Das tun wir sogar gerne, wenn ehrliches Interesse besteht. Aber diese sensationslüsternen Fragen von Unbekannten scheinen kein ehrliches Interesse an der Person zu sein.

Als Frau mit Behinderung werde ich regelmäßig diskriminiert, ignoriert, übergangen – und darüber hinaus wird psychische Gewalt ausgeübt. Ob gewollt oder nur aus Versehen. In vielen Bereichen bin ich abhängig von anderen. Mein Leben lang. Es fällt mir dennoch schwer, alles zu akzeptieren, was für mich oder über mich entschieden wird. Ich bin eine selbstständig denkende Frau!

Institutionelle Abhängigkeit
Das krasseste, was ich gerade erlebt habe ist, dass meine Betreuerin über meinen Kopf hinweg, ohne dass ich oder meine Eltern davon wussten, einen Antrag beim Gericht gestellt hat, damit ich einen gesetzlichen Betreuer bekomme. Den haben fast alle Menschen in der Werkstatt und aus der Wohngruppe. Meinen Eltern und meinen Geschwistern war es immer schon wichtig, dass ich so viel wie möglich selbst schaffe. Sie haben mich darin unterstützt. Ich darf selbst entscheiden und unterschreiben. Das ist gut so. Das ist aber auch unbequem für die Betreuer oder Pfleger und dauert sicherlich länger, als wenn sie einen gesetzlichen Betreuer gefragt hätten. Der unterschreibt alles und schnell. Ich erbitte mir Lesezeit, frage nach, wenn ich etwas nicht verstehe und unterschreibe keine „große Pflege“, wenn ich keine hatte. Dass über meinen Kopf hinweg entschieden wird, kenne ich auch aus der Pflege. Ich habe meinem Pflegedienst zu Beginn gesagt, dass ich keine Männer in der Pflege möchte. In der ersten Zeit ging das auch gut, aber dann brauchte ich
spätere Pflegezeiten und dann hat mir die Pflegedienstleiterin gesagt, das ginge nur, wenn ich zweimal die Woche in
Ausnahmefällen einen Mann akzeptieren würde. Am Anfang war es tatsächlich in Ausnahmefällen, aber dann wurde es
immer häufiger und nun nicht nur an den verabredeten Tagen, sondern auch mal so dass ich mich nicht darauf vorbereiten konnte. Dies geschah mit der Ausrede, ich hätte ja nichts, was er nicht schon mal irgendwo anders gesehen
hätte. Und er sei ja Profi.

Wirken in der Gesellschaft
Aufgrund meiner Einschränkung und weil ich da wohne, wo es keinen regelmäßigen barrierefreien öffentlichen Nahverkehr gibt, muss ich öfters mal ein Taxi nehmen. Einmal war ich total überrascht als mich der Taxifahrer ganz selbstverständlich gedutzt hat. Damit kam ich noch klar, aber dann nannte er mich Mausi. Ein anderer Fremder nannte mich mal „Engelchen“. Ich glaube, hätte ich keine Einschränkung und/oder ich wäre ein Mann, dann hätte er sich das nicht getraut. Ich habe das Gefühl, die glauben mit uns kann man es ja machen… Wir müssen scheinbar noch mehr zeigen, dass wir auch was können, nicht blöd sind, was wert sind und eine eigene Meinung haben.

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